Beurteilung pflegebedürftiger Kinder
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HINTERGRUND
Pflegebedürftige Kinder lassen sich nicht wie Erwachsene begutachten
Von Raimund Schmid

Die Klagen häufen sich: Zwar hat die Einführung der Pflegeversicherung nach Ansicht von Dr. Hans-Christoph Vogel vom Medizinischen Dienst (MDK) der Krankenkassen in Hamburg tendenziell auch bei Kindern und Jugendlichen zu einer besseren Pflegeversorgung geführt. Das Grundproblem hat aber auch die Pflegeversicherung nicht lösen können, stellte Vogel bei der Jubiläumstagung zum zehnjährigen Bestehen des Bundesverbands herzkranker Kinder in Bonn fest.

Eine individuelle, speziell auf die Bedürfnisse von Kindern ausgerichtete Pflegebegutachtung findet nach wie vor nicht statt. Zwar sind nur 3,8 Prozent aller zu pflegenden Personen in Deutschland Kinder. Da jedoch für diese Gruppe keine validen Kriterien vorliegen, wie der krankheits- oder behinderungsbedingte Pflegemehrbedarf eingestuft werden soll, ist die derzeitige Situation für die betroffenen Familien wie auch für die Gutachter unbefriedigend. Kein Wunder, daß der Anteil der Widerspruchsverfahren bei der Pflegebegutachtung im Kindesalter doppelt so hoch ist wie bei Erwachsenen.

Begutachtung benachteiligt Familien pflegebedürftiger Kinder
Um Auswege aus diesem Dilemma zu finden, ist bereits vor Jahren die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Kinderpflege ins Leben gerufen worden, die eine Analyse für die Pflegekassen und das Gesundheitsministerium vornehmen sollte. Die Gruppe unter der Leitung des Schömberger Kinder- und Jugendarztes Dr. Wilfried Diener setzte sich aus Pflegekräften und Ärzten der MDK-Gemeinschaft und aus namhaften Experten verschiedener Fachrichtungen zusammen. Diese hatten herausgefunden, daß die derzeitigen Begutachtungsverfahren pflegebedürftige Kinder und deren Familien im Vergleich zu pflegebedürftigen Erwachsenen deutlich benachteiligen. Dies ist aus mehreren Gründen der Fall, beispielsweise weil:

bei Kindern überhöhte Zeitabzugswerte und falsche Normwerte angesetzt werden;
sich soziale Belastungen wie Kinderreichtum, Berufstätigkeit der pflegenden Bezugsperson oder unvollständige Familien negativ auf die Pflegestufe auswirken. Die Folgen sozialer Belastungen, die die Pflegezeit für behinderte oder chronisch kranke Kinder um bis zu 50 Prozent reduzieren können, werden bisher bei der Bemessung der Pflegezeiten ausgeblendet;
nicht zu rechtfertigende Ungleichheiten zwischen verschiedenen Behinderungs- und Krankheitsgruppen entstehen. Besonders benachteiligt werden dabei zum Beispiel Kinder mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz oder <a href="http://www.ntsearch.com/search.php?q=Diabetes&v=53&src=zon">Diabetes</a> mellitus, da deren hoher Behandlungspflege-Anteil zu Hause im Gegensatz zur Grundpflege in der Begutachtung nicht berücksichtigt wird;
geistig behinderte und verhaltensauffällige Kinder benachteiligt werden, da die erforderliche Präsenzpflicht der Eltern und die deutlich aufwendigere Betreuung und Begleitung bei der Pflegebegutachtung außen vor bleiben.
Zudem, so kritisiert Diener in dem Abschlußbericht, würden medizinisch-rehabilitative Aspekte, Förderung, Erziehung und Integration nicht erfaßt. Diener: "Die Not und der konkrete Hilfebedarf werden in den Gutachten nicht abgebildet."

Das Pflegegeld kann überforderten und erschöpften Eltern deshalb nicht wirklich helfen. Dies gilt zumindest solange, solange die "angenommenen Pflegeminuten" als beliebig interpretierbares Kriterium - festgestellt zumeist von Nicht-Pädiatern - für die Pflegebegutachtung herangezogen werden. Dies kann dazu führen, daß vor Gerichten darüber gestritten wird, ob für das Zähneputzen vier Minuten veranschlagt werden oder drei Minuten ausreichen.

Um alle diese Defizite auszuräumen, plädiert Diener für eine eigene soziale Pflegeversicherung im Kindesalter. So wird in dem Abschlußbericht vorgeschlagen, das Kriterium der angenommenen Pflegezeit abzulösen und stattdessen die individuelle Situation von Kind und Familie mitsamt seinem Umfeld in die Begutachtung einzubeziehen.

Mit einer solchen Gewichtung hin zu einer individualisierten Pflege könnten laut Diener auch die verschiedenen Krankheiten und Krankheitsfolgen gerechter beurteilt werden können. Diese Erkenntnisse liegen Politik und Kassen seit langem vor, so Diener. Bisher habe jedoch niemand Interesse gezeigt, am Status quo zu rütteln. Da die Rürup-Kommission die Pflegeversicherung wieder als Reformbaustelle entdeckt hat, könnte sich dies rasch ändern. Tröstlich für die Rürup-Truppe: Beim Thema Kinderpflege müßten die fertigen Konzepte nur aus der Schublade geholt werden.

FAZIT
Die Zahl der Widersprüche gegen Gutachten im Falle pflegebedürftiger Kinder ist doppelt so hoch wie bei Erwachsenen. Das hat seine Gründe: Denn eine individuelle, speziell auf die Bedürfnisse von Kindern ausgerichtete Pflegebegutachtung findet nach wie vor nicht statt. Eine Arbeitsgruppe aus Ärzten und Pflegekräften hat die Benachteiligung von Familien mit pflegebedürftigen Kindern in einem Gutachten gerügt. Die in den Gutachten fiktiv angesetzte Pflegezeit wird den Erfordernissen einer individuellen Kinder-Pflege nicht gerecht.
Mit lieben Grüßen
Christine
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#2
Das ist ja klasse. Dann hat sich die ganze Schreiberei der vielen Eltern an die Ministerien und die vielen Streitereien vor Gericht doch endlich gelohnt !

Ich hoffe nur das die auch ein wirklich sinnvolles Konzept erstellt haben. Klingt zumindest sehr hoffnungsvoll.

Es ist ja echt zum würgen wenn man hört das z.B. ein Wachkomakind mal wieder in Stufe 2 eingestuft wurde weil die Kids ja nicht weglaufen können und somit ja easy zu betreuen seien Kotz .

Bin gespannt wann und ob die Änderung in Kraft tritt.

Liebe Grüße
Bettina
Hoffnung ist nicht die Überzeugung dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht. (Vaclav Havel)
HP www.sedolin.de
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