Jährlich 5 Millionen
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Spiegel Gespräch: "Abschied vom Halbgott in Weiß"

Der Mediziner und Gesundheitsforscher Matthias Schrappe über die Gehaltsforderungen der Krankenhausärzte, den Wandel ihres Berufes und die Krise der Kliniken

Schrappe, 50, arbeitete 15 Jahre als Internist im Krankenhaus, bevor er ins Klinikmanagement wechselte. Zuletzt leitete er als Ärztlicher Direktor die Universitätsklinik Marburg, seit September ist er hauptamtlicher Dekan an der Universität Witten/Herdecke, wo er derzeit die medizinische Fakultät auf die Erforschung des Gesundheitssystems ausrichtet.

Spiegel: Professor Schrappe, erstmals haben sich die Ärzte aus der Ver.di-Tarifgemeinschaft ausgeklinkt und fordern nun von den Krankenhäusern 30 Prozent mehr Gehalt. Echte Not oder schiere Gier?

Schrappe: Die Zahl sprengt jeden Rahmen - diese 30 Prozent sind völlig aus der Welt. So hohe Gehälter wären von keinem Klinik im Lande zu stemmen.

Spiegel: Glauben Sie denn, die Ärzte rechnen sich Chancen aus, den Konflikt zu gewinnen?

Schrappe: Entscheidend ist, dass es in Wirklichkeit um viel mehr geht als nur um höhere Löhne. Die 30 Prozent sind ein Symbol. Sie stehen für eine aufs äußerste gespannte Ratlosigkeit, eine tiefe Krise. Das Selbstverständnis des ärztlichen Berufs ist in Frage gestellt.

Spiegel: Ums Geld geht's also gar nicht?

Schrappe: Das wollte ich nicht sagen. Es stimmt durchaus: Über Jahre hin gab es nur so geringe Lohnsteigerungen, dass die Gehälter real immer weiter gesunken sind; vor allem aber werden inzwischen mehr und mehr Nacht- und Bereitschaftsdienste nicht mehr mit Geld, sondern mit Freizeit abgeglichen. Das geht enorm ins Geld. Mit dem Einkommen aus diesen Diensten konnte man früher, als ich Assistenzarzt war, sein Gehalt fast verdoppeln.....

Spiegel: ...... um sich dann mit 32 endlich den schicken Roadster zu kaufen.

Schrappe (lacht): Tja, das war damals die Zeit der Prosches und der weißen Slipper. Die Ära des Halbgottes in Weiß, wenn Sie so wollen. Aber diese Zeiten sind vorbei - während die Härten des Berufs geblieben sind. Sie habne sich sogar verstärkt: Immer mehr Patienten müssen in immer kürzerer Zeit behandelt werden. Allein von 1990 bis 2003 sank die Zahl der Krankenhausbetten von 686000 auf 542000, während die Zahl der behandelten Patienten von 14,6 auf 17,3 Millionen stieg! Hinzu kommt, dass die Ärzte jetzt jeden Handschlag dokumentieren müssen, für die Abrechnung über die neuen Fallpauschalen und für die Qualitätssicherung(Unterstreichung von meiner Wenigkeit). All das trägt massiv zur heutigen Sinnkrise bei.

Spiegel: Andererseits hatten die Ärzte früher viel längere Arbeitszeiten als heute.

Schrappe: Das stimmt. Die jungen Ärzte wussten: Im Krankenhaus stand ihnen eine harte Zeit bevor. Aber sie hatten eine Perspektive, si konnten das Licht am Ende des Tunnels sehen: die eigene Praxis. Praktisch alle Kollegen, mit denen ich Anfang der achtziger Jahre in einem Vorstadtkrankenhaus anfing, haben sich niedergelassen.

Spiegel: Das Krankenhaus war für sie also nur eine Durchgangsstation?

Schrappe: Genau. Und deswegen konnten es sich die Ärzte leisten, hundert Stunden die Woche zu arbeiten. Das Krankenhaus, das war die große Bewährungsprobe. Von Freitagmorgen bis Montagabend durchzumachen, in einem Stück, das gehörte einfach zum guten Ton. Da geriet man in eine Art Trance. Und manche haben zusätzlich, wenn sie eigentliche frei hatten, noch Polizeidienst geschoben, als nachts auf Abruf Blutalkohol bie Autofahrern kontrolliert. Dafür haben sie noch mal 500 Mark bekommen. Und so konnten sie dann nach sechs Jahren Facharztausbildung und nochmal zwei, drei Jahren als Oberarzt eine große Praxis auf der Tasche bezahlen.

Spiegel: Aber es haben sich ja nicht alle niedergelassen. Sie zum Beispiel...

Schrappe: Sicher. Aber die wenigen, die im Krankenhaus lieben, hatten damals die realistische Möglichkeit, irgendwann Chefarzt zu werden.

Spiegel: Ist das heute anders?

Schrappe: Allerdings. Heute fehlen den jungen Ärzten diese Zukunftsperspektiven. Wegen der Zulassungsbeschränkung ist die Gründung einer lukrativen Großstadtpraxis meist nicht möglich. Und dort, wo es inzwischen an niedergelassenen Ärzten mangelt, wie zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern oder in der Sächsischen Schweiz, da kann man kaum Geld verdienen. Also bleibt man als Facharzt oder Fachärztin im Krankenhaus - lebenslang. Das ist das neue Berufsbild.

Spiegel: Sind denn die Aufstiegeschancen in den Kliniken geringer geworden?

Schrappe: Das ist eine simple Frage der Mathematik. Insgesamt arbeiten heute 146 000 Kollegen in diesem Bereich. Es gibt aber nur 10 000 Chefarztposten. Da bleiben natürlich eine Menge übrig...

Spiegel: ......die dann ein ganzes Berufsleben lang stessige Dienste schieben müssen[/I

Schrappe: In der Tat. Deswegen taucht ja auch da Thema Müdigkeit bei den streikenden Ärzten auf. Für einen 27-Jährigen hat die Arbeit bis zur totalen Erschöpfung immerhin noch etwas Faszinierendes. Aber für einen 50-Jährigen? Der kann einfach nicht mehr von morgens bis abends, die anschließende Nacht und dann noch den nächsten Tag arbeiten.

Spiegel: [I]Wenn das Krankenhaus zum Lebensarbeitsplatz wird, dann schwindet auch der Galube daran, Held im Dienst der Menschen ziu sein.


Schrappe: Absolut. Der Araztberuf im Krankenhaus ist auf dem Besten Wege, eine ganz normale Dienstleistung zu werden, auch weil solche Dinge wie Transparenz und Qualitätssicherung für die ärztliche Arbeit immer wichtiger werden( Hervorhebung von mir)Wir erleben gerade den Abschied vom Halbgott in Weiß, eine Art Säkularisierung. Der Beruf wird auf allen Ebenen normaler.

Spiegel: Bedauern Sie das?

Schrappe: Na ja, die Romantik geht verloren. Und genau das wird den Ärzten jetzt bewusst und führt zu einer Selbstbildkrise, einer Indentitätskrise - das ist meiner Meinung nach der tiefere Grund dafür, warum die Ärzte jetzt für unerfüllbare 30 Prozent mehr Gehalt auf die Strasse gehen.

Spiegel: Lässt sich diese Identitätskrise denn überhaupt überwinden?

Schrappe: Jedenfalls ist die Lage dramatisch. Trotzdem halte ich es für wichtig, dass der Arztberuf in Deutschland diese Krise durchmacht. Zum einen muss sich das Selbstbild der Ärzte ändern, zum anderen auch das Arztbild in der Gesellschaft - damit sich Ärzte und Patienten in der sich drastisch wandelnden Krankenhauswelt noch zurechtfinden, in der nicht mehr Heldentaten gefragt sind, sondern schlicht gutdokumentierte Dienstleistungen von hoher Qualität.

Spiegel: Was, glauben Sie, wollen die Krankenhausärzte wirklich: viel Geld mit Diensten verdienen oder geregelte Arbeitszeiten?

Schrappe: Wenn man die Kollegen in einer Abteilung darüber abstimmen lässt, dann sagt ein Drittel: "Das ist mir egal", ein zweites Drittel: "Geregelte Arbeitszeiten sind eine supergute Idee", und das letzte Drittel: "Ich muss mein Häuschen abbezahlen, das geht auf gar keinen Fall, ich kann mir den Verzicht auf die Dienste nicht leisten." Da schaffen Sie mal Einigkeit!

Speigel: Fest steht: Ab nächstem Jahr soll auch der nächtliche Bereitschaftsdienst voll als Arbeitszeit gelten, und da niemand mehr als zehn Stunden am Stück arbeiten darf...

Schrappe: ...müssen die Kollegen, die von morgens an gearbeitet haben, spätestens um 20 Uhr nach Hause gehen, ja. Wir müssen also eine Art Schichtdienst oder versetzte Dienste in den Krankenhäusern einführen.

Spiegel: Wird das denn klappen?

Schrappe: Vielerorts wahrscheinlich nicht. Denn man wird die Arbeit komplett umorganisieren müssen. Und viele Krankenhäuser sind überhaupt nicht eingestellt auf den ungeheuren Aufwand, den diese Umstrukturierung erfordert. Viele habne diese Aufgabe vor sich hergeschoben. Deswegen erleben wir zurzeit nicht nur eine Krise der ärzte, sondern gleichzeitig auch eine schwerwiegende Ratlosigkeit seitens der Krankenhäuser. Gemeinsam mit dem Identitätswandel bei den Ärzten reicht diese Organisationskrise tief in das Gesundheitswesen hinein.

Spiegel: Wie meinen Sie das?

Schrappe: Weil der einzelne Arzt nicht mehr so viel arbeiten darf, müssen zum Beispiel viele neue Stellen geschaffen werden. Die Frage ist nur: Wo wollen Sie die zusätzlichen Ärzte hernehmen? Die sind nicht auf dem Markt. Bis 2015 werden 75 000 der insgesamt 306 000 in Deutschland tätigen Ärzte aussteigen, also praktisch jeder vierte. Derzeit werden aber nur 7 000 pro Jahr neu approbiert, und es werden immer weniger. Da wird's irgendwann eng.

Spiegel: Zumal inzwischen viele junge Ärzte ins Ausland abwandern. Fast in allen Nachbarländern werdne sie deutlich besser bezahlt. Wie kommt das?

Schrappe: Unser Gesundheitssystem hat eine Besonderheit, die Sie nirgendwo sonst auf der Welt finden: Wir leisten uns den Luxus, die Fachärzte doppelt vorzuhalten, in den Krankenhäusern und bei den Nierdergelassenen. Die Niederlande etwa haben keinerlei Facharztversorgung außerhalb des Krankenhauses. Da überweist der Hausarzt die Patienten in die Klinik zum Spezialisten.

(ich schick das mal weg, nicht dass mir der schöne text im off verlustig geht)
http://www.huahinelife.de

Es ist unklug, das Leben nach dem Zeitbegriff abzumessen. Vielleicht sind die Monate, die wir noch zu leben haben, wichtiger als alle durchlebten Jahre. (Leo Tolstoi)
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Jährlich 5 Millionen - von ursel - 02.08.2005, 10:11
RE: Jährlich 5 Millionen - von ursel - 12.09.2005, 13:00
[Kein Betreff] - von GinomeGelati - 12.09.2005, 18:20
[Kein Betreff] - von ursel - 12.09.2005, 22:11
[Kein Betreff] - von Sedolin - 12.09.2005, 23:02
[Kein Betreff] - von GinomeGelati - 12.09.2005, 23:08
[Kein Betreff] - von ursel - 13.09.2005, 09:03
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[Kein Betreff] - von ursel - 18.09.2005, 10:33
[Kein Betreff] - von ursel - 18.09.2005, 16:27
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[Kein Betreff] - von ursel - 28.09.2005, 15:27
[Kein Betreff] - von ursel - 28.09.2005, 17:57
[Kein Betreff] - von ursel - 10.11.2005, 13:44
[Kein Betreff] - von ursel - 12.11.2005, 23:27
hälbgötter! - von akinom1 - 14.11.2005, 00:02
RE: hälbgötter! - von ursel - 14.11.2005, 10:13
RE: hälbgötter! - von akinom1 - 14.11.2005, 15:05
[Kein Betreff] - von Gudrun - 25.11.2005, 12:51
[Kein Betreff] - von ursel - 09.12.2005, 14:48
[Kein Betreff] - von ursel - 13.12.2005, 11:50
[Kein Betreff] - von ursel - 14.12.2005, 11:40
[Kein Betreff] - von akinom1 - 14.12.2005, 17:33
[Kein Betreff] - von ursel - 07.02.2006, 19:35
[Kein Betreff] - von ursel - 27.02.2006, 11:04
[Kein Betreff] - von Sedolin - 27.02.2006, 13:04
[Kein Betreff] - von ursel - 11.03.2006, 21:01
[Kein Betreff] - von akinom1 - 11.03.2006, 23:46
[Kein Betreff] - von ursel - 13.03.2006, 12:14
[Kein Betreff] - von ursel - 20.03.2006, 10:01
Ärztestreik - von comaofsouls - 21.03.2006, 14:42
RE: Ärztestreik - von Bea F. - 21.03.2006, 17:43
RE: Ärztestreik - von ursel - 21.03.2006, 19:45
RE: Ärztestreik - von Sedolin - 21.03.2006, 21:05
RE: Ärztestreik - von Bea F. - 23.03.2006, 07:56

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