auch schon geschnallt
#1
SpiegelOnline 8.9.05

Gehirn reagiert im Wachkoma auf Worte
Von Andreas Kohler

Wachkoma-Patienten nehmen nichts mehr von ihrer Umgebung wahr - glaubte man bisher. Doch die Zweifel werden immer größer. Jetzt haben Forscher bei einer Frau im Wachkoma festgestellt, dass ihr Gehirn auf gesprochene Worte genauso reagiert wie das von gesunden Menschen.

Die junge Frau liegt nach einem schweren Verkehrsunfall im Wachkoma. Äußerlich ist sie unfähig, auf ihre Umgebung zu reagieren - sie kann weder sprechen noch sich gezielt bewegen. Und dennoch laufen in ihrem Gehirn komplexe Bewusstseinsprozesse ab, wie Forscher jetzt herausgefunden haben.

Das Team um den Neurowissenschaftler Adrian Owen vom britischen Medical Research Council in Cambridge untersuchte die Patientin mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanz-Tomografie (fMRI). So machten die Forscher anhand von Veränderungen in der Blutzufuhr Prozesse im Gehirn der Frau sichtbar - und konnten zeigen, dass das Denkorgan der scheinbar geistig völlig abwesenden Frau genauso auf Sprache reagierte wie das Gehirn gesunder Menschen.


Moderne Tomografie: Dem Gehirn beim Vorstellen zusehen
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Im Wachkoma, auch "Apallisches Syndrom" genannt, liegen derzeit alleine in Deutschland nach Expertenschätzung bis zu 8000 Menschen. Die Betroffenen haben eine schwere Schädigung des Großhirns erlitten, während andere Hirnteile noch weitgehend intakt sein können. Dadurch wachen die Patienten zwar auf, können aber weder kommunizieren noch sind sie sich selbst oder ihrer Umwelt bewusst - das jedenfalls war bislang die Lehrmeinung.

Patientin verstand offenbar Worte

Die Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift "Science" veröffentlicht wurde, beschreibt, dass die junge Frau bloßen Lärm von sinnvollen Wörtern unterschied. Wurden der Patientin Sätze mit einem doppeldeutigen Wort vorgesprochen, reagierten sogar ganz spezielle Hirnregionen, die für das Verstehen von Sprache verantwortlich sind.

Noch deutlichere Hinweise auf Bewusstseinprozesse erbrachte ein weiterer Test: Die Wissenschaftler baten die Wachkomapatientin zunächst, sich vorzustellen, sie spiele Tennis. Dann sollte sie in ihrer Vorstellung die Räume ihres eigenen Hauses durchlaufen. Bei beiden Versuchen gab es keinen nennenswerten Unterschied zwischen den Gehirnreaktionen der Frau im Koma und denen von gesunden Vergleichspersonen.

Spektakuläre Einzelstudie

Das bedeutet nach Meinung der Forscher: Obwohl die Frau alle Kriterien eines Wachkomas erfüllte, konnte sie gesprochene Worte ganz offensichtlich verstehen und darauf reagieren - nicht sprachlich oder mit Bewegungen, aber durch Gehirnaktivität. Zwar warnen die Forscher davor, den speziellen Fall der jungen Patientin zu verallgemeinern - zu unterschiedlich seien die Verletzungen und Krankengeschichten von Menschen im Wachkoma. Auch ist man sich in der Fachwelt nicht einig, wie genau "Bewusstsein" zu definieren ist.

Nicolas Schiff von der Columbia University bezeichnete die Resultate der Studie in einem ebenfalls in "Science" erschienenen Kommentar als spektakulär. Ende 2005 war bereits ein Forschungsprojekt in Oldenburg zu dem Ergebnis gekommen, dass Wachkoma- Patienten auf äußere Reize reagieren können.

Wachkoma-Patienten fördern und ernst nehmen

Für den Neurochirurgen Andreas Zieger bestätigen solche Forschungsergebnisse, dass selbst ein schwer geschädigtes Gehirn wieder aktivierbar sein kann, wenn man den Patienten ernst nimmt und entsprechend fördert. Zieger leitet die Abteilung Frührehabilitation für schwerst Schädel-Hirn-Geschädigte am evangelischen Krankenhaus Oldenburg. Die Meinung, dass Menschen im Wachkoma "keine seelenlosen Hüllen sind, in denen nichts Geistiges mehr abläuft", vertritt er seit vielen Jahren. Untersuchungen mit modernster Technik wie die der englischen Forschergruppe bestätigen ihn: "Jetzt ist es möglich, dynamische funktionelle Hirnsysteme darzustellen. Alte Theorien sind damit beweisbar".

Zieger vertritt die Methode der "Komastimulation durch körpernahen Dialogaufbau": Durch intensive Ansprache und auch körperliche Berührungen soll den Patienten damit der Weg zurück ins Bewusstsein geebnet werden. Viele andere Mediziner behandelten ihre Patienten immer noch nach dem Motto "einmal Wachkoma, immer Wachkoma - das wird sowieso nicht wieder", sagt Zieger. Er fordert dagegen, dass sich die Gesellschaft intensiv um diese Patienten kümmert und nimmt auch die Wissenschaft in die Pflicht: "In Deutschland wird die Komaforschung schwer vernachlässigt, der Versorgungsforschung für Wachkomapatienten fehlen die Mittel."

Testprogramme für Wachkoma-Patienten

Die Forscher der englischen Studie hoffen, ihre Untersuchungen weiter vorantreiben zu können und Komapatienten so irgendwann sogar Kommunikationshilfen zu bieten. Zumindest stellen sie sich vor, auf der Basis der fMRI-Darstellung ein regelrechtes Testprogramm aufzubauen, mit dem die Rehabilitation der Patienten überwacht und gezielt unterstützt werden könnte. Zieger sieht darin allerdings auch eine Gefahr: Wenn man Menschen im Wachkoma systematischen Tomografie-Tests unterziehe, könne das dazu führen, dass sie früh "sortiert" werden in rehabilitierbar und unheilbar. "Man sollte sich bei den Prognosen unbedingt zurückzuhalten und jeden Patienten so behandeln, dass er die Chance hat, sein volles Bewusstsein wiederzuerlangen."

Auch Walter Ullmer, stellvertretender Bundesvorsitzender des Vereins "Schädel-Hirnpatienten in Not", fühlt sich durch die englische Studie bestätigt. Aus den Ergebnissen neuerer Untersuchungen folge zwingend, dass man andere Umgangsformen mit Komapatienten werde finden müssen: "Es macht einen Unterschied, wie man am Krankenbett über den Menschen redet." Durchaus vorstellbar, dass eine junge Frau im Wachkoma, die sich ein Tennisspiel vorstellen kann, auch wahrnimmt, was in ihrer Gegenwart über ihre Genesungschancen gesprochen wird.
http://www.huahinelife.de

Es ist unklug, das Leben nach dem Zeitbegriff abzumessen. Vielleicht sind die Monate, die wir noch zu leben haben, wichtiger als alle durchlebten Jahre. (Leo Tolstoi)
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#2
hallo ursel
guter beitrag
prof zieger soll sehr gut sein(menschlich).
aber leider kann er auch nicht die arroganten mediziner belehren,oder seine erkenntnisse kommen nicht überall an(es dauert oft jahre).
fazit,viele patienten landen bei........,ebendso die angehörigen.
verdummt und belächelt.
monika
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#3
Hallo Ursel,
Dein Beitrag bestätigt eigentlich das, was die meisten von uns denken, ahnen und fühlen.
Nur leider werden wir nicht in der Lage sein, was genau unser Angehöriger oder zu Betreuender wahrnimmt. Das ist je nach Schädigung des Gehirns unterschiedlich. Ebenso wie auch jeder Wachkomapatient seine eigene Prognose hat.
Fest steht, das viel zu wenig getan wird um herauszufinden wie genau es um den Betroffenen steht.
Dieser Beitrag macht einerseits Hoffnung, jedoch macht er auch klar wie schrecklich es sein muss, Gefangener im eigenen Körper zu sein.
Es ist einfach grundlegend wichtig zu kommunizieren und davon auszugehen das das Gesprochene und alle Handlungen wahrgenommen werden.
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#4
hier nochmal in der Ärztezeitung - nur deutlich kürzer *g*

http://www.aerztezeitung.de/docs/2006/09...?cat=/news
liebe Grüße

Ginome

Tipp
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#5
Guter Bericht!
Mir ist das schon seit geraumer Zeit bewusst ,das man Wachkoma Patienten erreichen kann und diese uns nur schwer ereichen können. Manche von diesen können mit den Augen reden wie dies auch die Tiere in der Natur können . Man muss sich daraf achten!
Alles Liebe und viel Kraft von Hier Dieter
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#6
HEILSAME WITZE - Kinder wecken Mutter aus Koma

Zwei Jahre waren vorsichtiges Nicken und Lächeln ihre einzigen Lebenszeichen: Nach einem schweren Unfall war die Britin Andrea Brushneen ins Koma gefallen. Die Stimmen ihrer Kinder holten sie jetzt aus dem Tiefschlaf - mit Witzen.

Hamburg - Die Familie der 31-Jährigen fürchtete, die Stimme der zweifachen Mutter nie wieder hören zu können, berichtet die "Daily Mail". Als aber die elfjährige Tochter Shaunagh und der siebenjährige Sohn Mark an ihrer Bettkante Witze vorlasen, begann Andrea Brushneen plötzlich laut zu lachen. In letzter Zeit hatte die frühere Postbotin immer stärkere Reaktionen gezeigt.

Jetzt verbringen die Kinder und ihr Mann ihre Zeit damit, weitere Witze zur Erheiterung der Mutter zu suchen. "Aus medizinischer Sicht liegt sie zwar immer noch im Koma, aber sie ist ansprechbar, und wenn man ihr einen Witz erzählt, dann lacht sie", sagte ihr Ehemann, auch ein Postbote, der "Western Daily Press". "Die Kinder suchen immer nach neuen Witzen und verkleiden sich als Clowns, um sie zum Lachen zu bringen. Das hilft uns allen. Hoffentlich folgen viele weitere Schritte auf diesen Anfang."

Nach ihrem schweren Unfall hatte die Frau monatelang im Krankenhaus von Gloucestershire mit dem Tod gerungen. Seit Juni 2005 wird sie in einer speziellen Einrichtung für Komapatienten betreut.

Die Familie aus Gloucester hat inzwischen Spenden in Höhe von 75.000 Pfund gesammelt, um ihr Haus behindertengerecht umbauen zu können. Nun hoffen die Angehörigen, dass Andrea Brushneen vielleicht schon vor Weihnachten nach Hause entlassen werden kann. "Es ist wundervoll, wenn die Kinder mit dem Wissen abends ins Bett gehen können, dass ihre Mutter im selben Haus ist", sagte ihr Ehemann, der sich künftig um die Betreuung seiner Frau kümmern will.

han

http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,451103,00.html
http://www.huahinelife.de

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