23.07.2008, 10:14
Eugen Drewermann : An den Grenzen der Medizin. Märchen von Heilung und Hoffnung
Textauszug:
Da seht vor uns ein etwa 40jähriger Arzt in offenem weißen Kittel, die Ärmel über die wurstprallen Unterarme gekrempelt, in der linken Hand einen Katheter, in der rechten die fertig aufgezogene Spritze. Unwillkürlich wandert der Bilick über die Knopfleiste der Jacke, entlang der Wölbung des mächtigen Embonpoint über die bizarr geknotete Krawatte hinauf - da wird unversehens ein Gesicht erkennbar, dessen sadistische Arroganz und dummschlaue Selbstgewißheit den Triumpf beamteter Herrschaft über alles Menschenleid bis zum Grad des Zynischen verkörpern.
Unter den jugendlich gelockten duklen Haaren springt eine flachköpfige Stirn vor, die in eine rüsselartige Nase einmündet, flankiert von zwei büschelähnlichen Brauen.
Die Augen, selbst schon in porzellanener Starrheit, werden von einem Kneifer mit riesigen Gläsern verdeckt, der, nebst der Nase, seinen Halt an den rundgesichtigen rötlichen Backen findet, deren rechte Seite von dem tüchtigen "Schmiß" eines studentischen Paufanten geziert wird - dem Gütezeichen der wehrhafte, "schlagenden Verbindungen" der Kaiserzeit.
Am schlimmsten erscheint der zu einem lustvollen Grinsen verbogene, lüstern gespitzte Mund, der ein perverses Liebesabenteuer mit seinem Patientenopfer vermuten läßt.
Und in der Tat: im Hintergurnd seht schon drohend der Behandlungsstuhl bereit, ein Folterwerkzeug von düsterer Präzision: aufragend an den beiden Seiten die schalenförmigen Halterungen für die auseinanderzuspreizenden Beine, die dem Urologen Koch das Organ seiner Zuständigkeit feilbieten sollen, Kurbeln und Schrauben, die es erlauben, diesen Stuhl der menschlichen Selbstauslieferung in Rückenlehne und Fußgestell in jede gewünschte Lage zu drehen, ein Infusionsständer mit zwei Flaschen und Schläuchen, im Hintergrund ein Regal mit obskuren Tinkturen und Essenzen, ein gläserner Desinfetionsschrank, auf dem eine Gummiblase liegt, im Vordergrund ein Glastisch mit dem Behandlungsbesteck: Messer, Pinzetten, Stichel....
Wer immer einem solchen Arzt inmitten eines solchen Interieurs begegnet, der wird nicht anders können, als in panischem Schrecken wie vor dem Kerker der Heiligen Inquisition auf das schnellste Reißaus zu nehmen.
Es besäße aber das Bild von Otto Dix (oben beschrieben, anmerkung von mir) nicht eine derart makabre Faszination, enthielte es nicht in der extremen Stilisierung karikaturhafter Darstellung eine offenbarende Aussage über eine jederzeit mögliche und vielfach erlebte Zerrform der ärztlichen Kunst.
Gerade die Nähe der Medizin zum naturwissenschaftlichen Denken kann im Umgang mit lebenden, fühlenden Menschen (und Tieren) zu einer gefühlskalten Anwendung einer rein mechanischen, großtuerischen, sich allwissend dünkenden Routine entarten, die "menschlich" allenfalls noch darin ist, dass sie die Hilflosigkeit und den Schmerz der ihr Ausglieferten frohlockend als Bestätigung der diagnostisch zu erwartende Verhaltensreaktionen wertet.
Textbeispiel Seite 15/16
Kommentar:
Eugen Drewermann schreibt natürlich facettenreich, auch die querverweise in literatur und kunst erfordern eine gewisse kenntnis, aber dennoch, wirklich lohnenswert, unbedingt kaufen!
hier ein link zu amazon mit einer konkreteren beschreibung: http://www.amazon.de/den-Grenzen-Medizin...288&sr=8-1
anfang der neunziger hatte ich herrn drewermann kurz persönlich gesprochen, nach einem vortrag in der stadthalle hier in freiburg. sehr angenehm. intelligent, in seinen büchern poetische sprache, nicht langweilig wie so viele.
nebenbei aktiver tierschützer, was ihn menschlich sympathisch macht, lässt keine gelegenheit aus, auch wenn er sich damit der lächerlichkeit preisgibt, auf vielfach grausame behandlung von tieren aufmerksam zu machen.
gruß,
ursel
Textauszug:
Da seht vor uns ein etwa 40jähriger Arzt in offenem weißen Kittel, die Ärmel über die wurstprallen Unterarme gekrempelt, in der linken Hand einen Katheter, in der rechten die fertig aufgezogene Spritze. Unwillkürlich wandert der Bilick über die Knopfleiste der Jacke, entlang der Wölbung des mächtigen Embonpoint über die bizarr geknotete Krawatte hinauf - da wird unversehens ein Gesicht erkennbar, dessen sadistische Arroganz und dummschlaue Selbstgewißheit den Triumpf beamteter Herrschaft über alles Menschenleid bis zum Grad des Zynischen verkörpern.
Unter den jugendlich gelockten duklen Haaren springt eine flachköpfige Stirn vor, die in eine rüsselartige Nase einmündet, flankiert von zwei büschelähnlichen Brauen.
Die Augen, selbst schon in porzellanener Starrheit, werden von einem Kneifer mit riesigen Gläsern verdeckt, der, nebst der Nase, seinen Halt an den rundgesichtigen rötlichen Backen findet, deren rechte Seite von dem tüchtigen "Schmiß" eines studentischen Paufanten geziert wird - dem Gütezeichen der wehrhafte, "schlagenden Verbindungen" der Kaiserzeit.
Am schlimmsten erscheint der zu einem lustvollen Grinsen verbogene, lüstern gespitzte Mund, der ein perverses Liebesabenteuer mit seinem Patientenopfer vermuten läßt.
Und in der Tat: im Hintergurnd seht schon drohend der Behandlungsstuhl bereit, ein Folterwerkzeug von düsterer Präzision: aufragend an den beiden Seiten die schalenförmigen Halterungen für die auseinanderzuspreizenden Beine, die dem Urologen Koch das Organ seiner Zuständigkeit feilbieten sollen, Kurbeln und Schrauben, die es erlauben, diesen Stuhl der menschlichen Selbstauslieferung in Rückenlehne und Fußgestell in jede gewünschte Lage zu drehen, ein Infusionsständer mit zwei Flaschen und Schläuchen, im Hintergrund ein Regal mit obskuren Tinkturen und Essenzen, ein gläserner Desinfetionsschrank, auf dem eine Gummiblase liegt, im Vordergrund ein Glastisch mit dem Behandlungsbesteck: Messer, Pinzetten, Stichel....
Wer immer einem solchen Arzt inmitten eines solchen Interieurs begegnet, der wird nicht anders können, als in panischem Schrecken wie vor dem Kerker der Heiligen Inquisition auf das schnellste Reißaus zu nehmen.
Es besäße aber das Bild von Otto Dix (oben beschrieben, anmerkung von mir) nicht eine derart makabre Faszination, enthielte es nicht in der extremen Stilisierung karikaturhafter Darstellung eine offenbarende Aussage über eine jederzeit mögliche und vielfach erlebte Zerrform der ärztlichen Kunst.
Gerade die Nähe der Medizin zum naturwissenschaftlichen Denken kann im Umgang mit lebenden, fühlenden Menschen (und Tieren) zu einer gefühlskalten Anwendung einer rein mechanischen, großtuerischen, sich allwissend dünkenden Routine entarten, die "menschlich" allenfalls noch darin ist, dass sie die Hilflosigkeit und den Schmerz der ihr Ausglieferten frohlockend als Bestätigung der diagnostisch zu erwartende Verhaltensreaktionen wertet.
Textbeispiel Seite 15/16
Kommentar:
Eugen Drewermann schreibt natürlich facettenreich, auch die querverweise in literatur und kunst erfordern eine gewisse kenntnis, aber dennoch, wirklich lohnenswert, unbedingt kaufen!
hier ein link zu amazon mit einer konkreteren beschreibung: http://www.amazon.de/den-Grenzen-Medizin...288&sr=8-1
anfang der neunziger hatte ich herrn drewermann kurz persönlich gesprochen, nach einem vortrag in der stadthalle hier in freiburg. sehr angenehm. intelligent, in seinen büchern poetische sprache, nicht langweilig wie so viele.
nebenbei aktiver tierschützer, was ihn menschlich sympathisch macht, lässt keine gelegenheit aus, auch wenn er sich damit der lächerlichkeit preisgibt, auf vielfach grausame behandlung von tieren aufmerksam zu machen.
gruß,
ursel
http://www.huahinelife.de
Es ist unklug, das Leben nach dem Zeitbegriff abzumessen. Vielleicht sind die Monate, die wir noch zu leben haben, wichtiger als alle durchlebten Jahre. (Leo Tolstoi)
Es ist unklug, das Leben nach dem Zeitbegriff abzumessen. Vielleicht sind die Monate, die wir noch zu leben haben, wichtiger als alle durchlebten Jahre. (Leo Tolstoi)