Behandlungsfehler
#1
TATORT KRANKENHAUS

Die unnötigen Leiden des kleinen Valerio
Von Udo Ludwig

Falsche Diagnosen, Geldgier, Leichtsinn: Rund 400.000 Patienten kommen jährlich durch Behandlungsfehler zu Schaden.

Oft versuchen Kliniken die Fälle zu vertuschen. Opfer und Angehörige müssen dann verzweifelt um Schadensersatz kämpfen - so wie im Fall des 15 Monate alten Valerio.

"Fehler gehören leider dazu..." Unter dieser Überschrift schrieb im April 2008 Jörg Debatin einen Gastbeitrag für das "Hamburger Abendblatt". Selbst bei schlimmen Todesfällen, so der Ärztliche Direktor des Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) in Hamburg, gelte es, "der emotional naheliegenden Versuchung zu widerstehen, den Fehler unter den Teppich zu kehren, wie wir es in der Vergangenheit zu häufig getan haben. Nur durch konsequentes Einstehen konnten Konsequenzen gezogen werden."


Dieser Ansicht wird kaum jemand widersprechen. Doch immer wieder haben ausgerechnet Krankenhäuser große Probleme damit, Fehler einzugestehen. Ein exemplarischer Fall ereignete sich vor wenigen Jahren in Hamburg - just in der Klinik von Debatin.

Es ist der 2. Dezember 2001. Der 15 Monate alte Valerio hat heftige Bauchschmerzen bekommen, er muss sich mehrmals erbrechen. Gegen Abend ruft die Mutter Leandra Nieuenhuizen eine Notfallärztin zur Hilfe, die einen Infekt des Magen-Darmtraktes vermutet. Doch die verordneten Zäpfchen gegen die Schmerzen und das Erbrechen halfen nicht. Gegen vier Uhr morgens entdeckt die Mutter Blut im Stuhl ihres Sohnes und entschließt sich, ins UKE zu fahren.

Zwei Ärzte untersuchen Valerio, ohne etwas Bedenkliches zu finden, nehmen ihn aber auf der Säuglingsstation auf. Um zehn Uhr wird eine Röntgenaufnahme gemacht, ohne Befund, um 12.24 Uhr dann ein Ultraschall, bei dem eine große Anschwellung des Darmes entdeckt wurde. Doch erst um 15.05 Uhr wird Valerio operiert.

Es hat sich eine sogenannte Invagination gebildet, eine gefährliche Einstülpung verschiedener Darmabschnitte, die zum Darmverschluss und unbehandelt auch zum Tod führen kann. Zehn Tage nach der Operation wird Valerio entlassen.

Hausverbot für Mutter

Der Fall wäre längst im Aktenarchiv gelandet, wenn Leandra Nieuenhuizen nicht eine so resolute Frau wäre. Ihr kam es komisch vor, dass die UKE-Ärzte die gefährliche Erkrankung nicht sofort erkannt hatten. Und sie ärgerte sich über die Behandlung. Fünf-, sechsmal habe sie nachfragen müssen, was mit ihrem Sohn sei, sagt sie, stundenlang sei nichts geschehen. Sie wollte den Ärzten ihre Meinung sagen, dass etwas in dem Alltagsablauf der Klinik nicht in Ordnung sei. Sie wollte, dass "nicht noch andere Kinder leiden".


Immerhin: Behandelnde Ärzte und zwei Professoren waren zum Gespräch bereit. Doch die Ärzte seien "arrogant" gewesen, sagt sie, es habe die "Menschlichkeit gefehlt". Leandra Nieuenhuizen entschloss sich, gegen das UKE zu klagen. Es war ein langer Weg, er dauerte sechs Jahre, und wenn sie nicht so ausdauernd gewesen wäre, hätte sie schnell verloren. Mehrmals sprach sie persönlich im UKE vor, sie verlangte die Krankenunterlagen, Röntgenbilder und Ultraschallaufnahmen.

Einmal nervte sie offenbar so sehr, dass sie, wie sie erzählt, Hausverbot bekam. Sie schilderte den Fall dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen. Der ließ ein Gutachten erstellen, und das war eindeutig: Es habe "mit Sicherheit Verzögerungen" bei der Behandlung gegeben, die nicht zu erklären seien. Spätestens morgens um 9 Uhr hätten die Ärzte eine Ultraschalluntersuchung bei Valerio vornehmen müssen.

Den Ärzten hätte "klar sein müssen, dass sich der Patient in akuter Lebensgefahr befand". Hätten die Ärzte sofort reagiert, hätte womöglich eine Spülung des Darms ausgereicht. Auf das Herausschneiden eines großen Stückes Darm hätte man dann verzichten können. Aber das UKE hielt weiter dagegen. Es gebe keinen Fehler in der Diagnose. Und selbst wenn die richtige Diagnose früher gestellt worden wäre, hätte man auf eine Operation nicht verzichten können.

5000 Euro für Valerio

Vor Gericht bestätigte dann ein weiterer Sachverständiger den Behandlungsfehler. Das Gericht wies die Klage der Nieuenhuizens dennoch ab. Es liege zwar ein Fehler in der Befundung vor, sagte das Landgericht, aber es sei nicht bewiesen, dass bei einer schnellen und richtigen Diagnose die Operation vermieden worden wäre.


BUCHTIPP
Udo Ludwig:
"Tatort Krankenhaus"
Wie Patienten zu Opfern werden. Deutsche Verlags- Anstalt; 280 Seiten, 16,95 Euro
.

Leandra Nieuenhuizen erfuhr, wie schwer es ist, gegen Krankenhaus-Giganten wie das UKE einen Prozess zu gewinnen. Der Film mit den Ultraschallbildern war plötzlich verschwunden, möglicherweise sei dieser "beim Aufräumen des OP versehentlich falsch einsortiert worden", lautete die Erklärung. Die Krankenakte habe eigenartige Ergänzungen oder Erklärungen aufgewiesen, sagt Nieuwenhuzien, als sei nachträglich etwas hinzugefügt worden - was das UKE bestreitet.

Doch die Mutter von Valerio gab nicht auf. Und dann erhielt sie vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht doch noch recht. Bei "rechtzeitiger Behandlung" wäre die Einstülpung eines Darmabschnitts "mittels einer konservativen Behandlung geheilt worden, so dass ihm eine Operation mit Entfernung von Teilen des Darms erspart geblieben wäre", sagten die Richter. Sie verurteilten das UKE im April 2008, 5000 Euro Schmerzensgeld an den Jungen zu zahlen.

Als Leandra Nieuenhuizen im März den Zeitungsbeitrag von Jörg Debatin liest, wird sie zornig. Sie schreibt dem Professor und bittet ihn "um ein persönliches Gespräch, damit Sie über den Behandlungsfehler bei meinem Sohn sprechen können und endlich zugeben, dass das UKE einen groben Fehler gemacht hat." Debatin antwortet, er sehe die "Historie des UKE bezüglich Fehlerkultur sehr kritisch". Eine solche "Unkultur" lasse sich "leider nicht auf Knopfdruck verändern". Auf die Mitarbeit von Frau Nieuenhuizen wollte er aber verzichten: "Da der Fall Ihres Sohnes bereits vor Gericht abschließend geklärt worden ist, halte ich eine erneute Aufarbeitung für wenig sinnvoll."


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In dem jetzt erschienenen Buch "Tatort Krankenhaus. Wie Patienten zu Opfern werden" hat SPIEGEL-Redakteur Udo Ludwig erstaunliche Fälle von Behandlungsfehlern wie den bei Valerio zusammengetragen.


http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensc...85,00.html


Persönliche Anmerkung: das ist kein Einzelfall !!.
Das hat System - oben wird die Zahl 400.000 genannt- die Schädigungen, die Patienten zugefügt werden, sowie die Ausgrenzng der Mutter/der Angehörigen, da sich keiner seiner Verantwortung stellen will, und die Gerichte, die nicht fähig sind, dem Treiben der Klinik, der Ärzte, die Grenzen aufzuzeigen.

Auch die Manipulationen in den Unterlagen sind alles andere als unüblich. Ich habe zum Beispiel Dopplerbilder von 1992, da war mein Kind noch nicht auf der Welt. Oder ohne Namen des Untersuchten, kann also von irgendjemanden sein.
Der Gutachter, den ich mit 2700 Euro mir monatelang vom Munde absparten musste, meinte: oh, Verwechslung, kann ja mal vorkommen.
Widerlich!
http://www.huahinelife.de

Es ist unklug, das Leben nach dem Zeitbegriff abzumessen. Vielleicht sind die Monate, die wir noch zu leben haben, wichtiger als alle durchlebten Jahre. (Leo Tolstoi)
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#2
hallo ursel
ich frage mich oft,sind ärzte heute noch wirklich für den patieten da,oder sind es nur kunden um die pharmaindustrie und den angestellten in den krankenkassen ihren gut bezahlten job zu finanzieren.
man vertraut im gesundheitswesen immmer auf das blinde vertrauen der patienten(kranke hat man schon in den fängen und gesunde findet man durch (vorsorgeuntersuchungen)und schnell bekommen sie medikamente-nebenwirkung-noch ein medikament,schon hat man viele bunte smartis - kostensteigerung-beitragssteigerung-. Kotz confused Heul2
wenn sich so manch einer mal den beipackzettel durch liest,würde er sich bestimmt mal selbst fragen,ob es gut oder schlecht ist blind zu vertrauen.

mfg akinom
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